Pädagogische Herausforderungen und Tipps

Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen werden von einer Sprache begleitet, die häufig dualistisch ist und religiöse und politische Identitäten vermischt. Gespräche über diese Konflikte sind entsprechend immer gefährdet, zu pauschalisieren und die für jede Deeskalation und spätere Lösung wichtigen Differenzierungen nicht wahrzunehmen.

Schülerinnen und Schüler, die sich mit der Situation in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten beschäftigen, tun das zumeist in einem Diskurs, der einen solchen Dualismus seit vielen Jahrzehnten pflegt und dessen Extrempunkte Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus heißen.

Für uns als Pädagoginnen und Pädagogen gilt jedoch: Wir müssen nach außen radikal wirkende existenzielle Suchbewegungen junger Menschen nach »letzten Wahrheiten« und einem „Welterklärungsmechanismus“ (Hermann Giesecke) zulassen und produktiv weiterentwickeln können.

Das heißt in der aktuellen Situation konkret: Hören Sie zu. Zeigen Sie eine erkennbare Haltung, die sich an den Menschenrechten orientiert und seien Sie darin (auch sprachlich) ein Vorbild.

Das erfordert, auf Provokationen nicht durch emotionalisierte Reaktionen zu antworten und Kritik dadurch im Ansatz unhörbar zu machen. "Pädagogische Diskursräume müssen für den grundsätzlichen Widerstreit offen bleiben." Immer. "Herausfordernde gesellschaftlich-politische Lernprozesse werden deshalb immer wieder in riskante und öffentlich anfechtbare Grenzsituationen führen – und das ist auch gut so.“ (Tilman Grammes, in: „Positioniert euch! Was politische Bildung darf“, LI Hamburg 2020)

Wir möchten Sie ermutigen, Gespräche zu führen und die Komplexität der Fragestellungen mit Ihren Schülerinnen und Schülern gemeinsam zu betrachten. Es sind hier Aspekte von Politik, Geschichte, Religion, Menschen- und Grundrechten wie Menschenwürde, Meinungsfreiheit, aber auch Fragen um Diskriminierung und Integration miteinander verwoben.

Vielleicht fragen Ihre Schülerinnen und Schüler Sie direkt nach der Lage in Israel, vielleicht finden subtile oder offene Solidaritätsbekundungen statt, vielleicht gibt es auch an Ihrer Schule oder im privaten Umfeld der Schülerinnen und Schüler Vorfälle oder Konflikte.

Unser Rat ist: Sprechen Sie das Thema auf jeden Fall an und nicht erst wenn es möglicherweise Vorfälle gibt. Bieten Sie Zeit und Raum für Fragen und für das gemeinsame Nachdenken. Das offene Gespräch lohnt sich.

Gerade in Krisen- und Kriegszeiten wird auch interessensgeleitete Informationspolitik deutlich​​​​​. ​Zudem beziehen viele Jugendliche ihre Informationen aus Plattformen wie Tiktok, YouTube und Instagram. Die Kommentarspalten sind voll widerstreitender Informationen, Provokationen und schnellen Urteilen. Nehmen Sie dies zur Kenntnis. Besprechen Sie den Zweck von gewaltvollen Darstellungen, den die Verfasser solcher Videos verfolgen. Hierbei gilt es auch, nicht den Terror oder die gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu verharmlosen.

Ein Augenmerk möchten wir auf Schülerinnen und Schüler richten, die aufgrund ihrer familiären Herkunft und Migrationsgeschichte besonders emotional nah am Thema sind und das schließt alle Positionen ein. Bedenken Sie in den Gesprächen, dass „Palästinenser“ und „Israeli“ nationale Identitäten sind, die nicht zwangsläufig auch einer Religionszugehörigkeit entsprechen. Daran muss immer wieder erinnert werden, denn es gilt zu verhindern, dass Jüdinnen und Juden bzw. Muslima und Muslime stellvertretend für politische Entscheidungen verantwortlich gemacht werden. Helfen Sie Jugendlichen vor allem dann, wenn Sie den Eindruck haben, diese müssten sich aufgrund von Peer-Druck oder familiärem Zusammenhalt für „eine Seite“ entscheiden. Fordern Sie bitte auch selbst niemanden aufgrund seiner (vermeintlichen) Zugehörigkeit auf, sich zu positionieren. Gleichzeitig gilt: Wer sich für eine friedliche Lösung für ALLE einsetzt, darf sich auch mit einer einzelnen Konfliktpartei solidarisch(er) zeigen! Nutzen Sie hier auch Einzelgespräche nach der Stunde, in denen Sie die pädagogische Beziehung suchen, nehmen Sie dadurch auch den Peer-Druck und sind gleichzeitig Vorbild mit ernstgemeintem Interesse.

Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass Äußerungen von Jugendlichen nicht immer differenziert sind und oft impulsiv vorgetragen werden. Vieles ist deshalb nicht immer inhaltlich detailliert unterfüttert, so dass Nachfragen wie „Was meinst du damit?“, „Hast du ein Beispiel?“ oder „Kannst das genauer machen / konkretisieren?“ schnell die (sprachliche und inhaltliche) Not der Schülerin / des Schülers und die fachliche Überlegenheit als Lehrkraft zeigen. Bleiben Sie hier offen für diese Not, halten sie dies aus, statt zu belehren.

Sie als Lehrkraft repräsentieren unser menschenrechtsbasiertes Grundgesetz und stehen für diese Werte ein. Fehlende Empathie mit den Opfern der Gewalt, Verherrlichung des Terrors oder Gefühllosigkeit gegenüber den Zurschaustellungen von Opfern in sozialen Medien stehen im krassen Gegensatz zu diesen Werten. Weisen Sie darauf hin. Stehen Sie für diese Werte ein, z. B. indem Sie sich auf das humanitäre Völkerrecht beziehen und die damit einhergehende Selbstverpflichtung von Konflikt- und Kriegsparteien. Achten Sie aber auch darauf, dass Ohnmachtsgefühle oder die Wahrnehmung, bestimmte Opfergruppen wären in der Vergangenheit weniger wichtig genommen worden, ihren Platz im Klassenraum haben, z. B. indem Sie gemeinsam überlegen wie der zivilen Opfer gedacht werden kann oder wie man überhaupt Solidarität mit der Zivilbevölkerung zeigen kann.

Bedenken Sie bitte: Kritik an der (aktuellen) Politik eines demokratischen Landes ist legitim, auch in Zeiten schwerster Krisen. Das gilt auch für die kritische Auseinandersetzung mit der politischen Lage in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten und auch dann, wenn Äußerungen antizionistisch sind. Aber: Das Existenzrecht des Staates Israel ist nicht in Frage zu stellen! Greifen Sie klar ein, wenn es zu Dämonisierungen der israelischen Politik kommt. Fordern Sie immer wieder dazu auf, multiperspektivisch zu sein und einfache Stereotype zu hinterfragen.

Wir wünschen Ihnen viel Kraft und gute Gespräche!

Nutzen Sie die Möglichkeiten zum kollegialen Austausch, um sich selbst in dieser herausfordernden Situation professionalisieren zu können.

Wir danken Ihnen für Ihren Einsatz!